ORANGE IS THE NEW BLACK

Paßt nicht zur Jahreszeit — egal. Ein Beitrag von Björn Hekmati zum Thema Longboard geht immer!

Trendgeräte

Der Sommer war sehr groß, um es mit den Worten des Dichters Rilke zu sagen, und tatsächlich zwang uns das, jeden Tag draußen zu verbringen – beim Cruisen im Park, beim Dancen mit Freunden auf dem Supermarktparkplatz, beim Freeride und Downhill in der Nähe des alten „secret spots“, der mittlerweile ein öffentliches Geheimnis ist, beim Slide-Jam und nicht zu vergessen beim Shredden im Skatepark und ganz old-school in der Miniramp bei uns vorm Haus.

Der Herbst steht nun vor der Tür, und es gibt tausend gute Gründe, sich auf die nasskalte Jahreszeit zu freuen und endlich unsere geschundenen Knochen aufs Sofa zu wuchten. Zu den TV-Tipps kommen wir gleich. Zuvor gilt es, unsere Bretter vorschriftsgemäß einzumotten und winterfest zu machen. Die TV-Serie, von der hier die Rede sein wird, läuft mittlerweile in der dritten Staffel, und wer sich im Herbst alle Staffeln hintereinander anschaut, dürfte darüber seine Trauer vergessen, in den kommenden Monaten nicht mehr viel oder gar nicht mehr auf den Brettern zu stehen, die uns allen die Welt bedeuten: den Slalomboards, Freeride- und Downhillboards, den Cruisern aus Holz und alten Fischernetzen, den Poolboards, Streetboards, Dancerboards und dem IO Hawk. „IO … was?“, fragt ihr uns zu Recht. Und wenn wir euch antworten, es handelt sich dabei angeblich um ein neues Trendgerät (DAS Trendgerät!) – eine Mischung aus Skateboard und Segway – , dann macht euch das hoffentlich skeptisch. Nein, wir machen keine Schleichwerbung. Gestolpert sind wir über dieses Wunderding in der Zeitung, genauer: in der Süddeutschen Zeitung. „Da flieg ich drauf“ heißt die Überschrift des Artikels, in dem das Sci-Fi-Gerät mit zwei Rädern und zwei Trittflächen angeblich von einigen Fans als neues Hoverboard gefeiert wird. Für 1.800 US-Dollar völlig indiskutabel – und sonst natürlich auch. Uns geht es dabei vor allem darum, dass wieder einmal ein neuer Trend in den Zeitungen angepriesen wird.

TV-Tip

Womit wir beim Thema wären: unserem TV-Tipp. Hand aufs Herz, die Serie „Orange Is the New Black“ kann sich wirklich sehen lassen, und wir wollen uns an dieser Stelle auf keinen Fall den Volkszorn zuziehen, indem wir etwas vorwegnehmen (Achtung: KEIN Spoiler-Alert!). Nur so viel sei gesagt: Die Farbe „Orange“ bezieht sich auf die Farbe der Kleidung von Gefängnisinsassen, und natürlich ist es euch überlassen, die Serie anzuschauen oder nicht. Der Titel verdient indes besondere Beachtung. Diese Phrase – etwas wäre oder is „the new black“ – ist schon alt, aber irgendwie war sie besonders in den vergangenen Jahren präsent. Ihr Ursprung liegt in der Modewelt der achtziger Jahre, wo die Farbe „Schwarz“ das Maß aller Dinge war. Gelang es einer anderen Farbe in einer Saison, die Dominanz der absoluten Modefarbe für eine Saison ein wenig zu brechen – sei es Grau, Braun oder Navy Blau – , dann war die Rede von: „Grey (Brown, Navy Blue) Is the New Black“. Gut und schön.

Was hat das nun im 40inch verloren? Ganz einfach: In den letzten Jahren waren auch die Longboarder „the new black“, was sich an den Verkaufszahlen ablesen lässt, an der leichten Erlernbarkeit dieser wundervollen Aktivität, an der gestiegenen Anzahl von Mitdreißigern, die sich auf die langen Bretter trauten, an der Werbung, am veränderten Stadtbild in den urbanen Ballungszentren und nicht zuletzt auch an den Schlagzeilen in den Zeitungen und im Internet.

„Das Longboard ist das bessere Skateboard“

heißt es auf der website von www.derwesten.de aus dem Jahre 2011. „Trend zum Longboard“, titelt die Süddeutsche Zeitung im Jahre 2013. 2011 wird im Tagesspiegel von der „Freiheit des Gleitens“ geschwärmt. Endlos ließe sich diese Sammlung von Überschriften fortsetzen. In England und Amerika klingt das zum Teil ein wenig anders: „Skateboarding Past a Midlife Crisis“, mahnt die New York Times im Jahre 2012. Und The Telegraph fragt 2014, ein wenig spöttisch: „How old is too old to skateboard?“ Interessant daran ist der kritische Ansatz, der auch schon in der Süddeutschen Zeitung vor zwei Jahren mitschwang („Wenn Erwachsene sich Jugend kaufen“), und die Tatsache, dass in England und Amerika bereits Skateboarding und Longboarding fast synonym verwendet werden, denn im Artikel der New York Times ist eigentlich fast ausschließlich von graubärtigen Männern die Rede, die die Berge runterheizen – auf ihren Downhillboards, versteht sich. Im Telegraph carvt auf einem Foto zum Text ein Mitdreißiger ohne Helm und mit cooler Brille eine Straße auf einem Longboard hinab.

Wheelbasemag

Diese strikte Unterscheidung in Skateboarding und Longboarding aufzulösen, das war und ist auch das Ansinnen von Marcus Bandy, der im Jahre 2011 das Online-Magazin „wheelbasemag.com“ gründete. Er legt Wert darauf, die Verbindung zwischen Skatern zu betonen – und nicht deren Unterschiede. Und er stellt seine Redakteure als einen bunten Haufen vor, der alle möglichen Arten von Brettern skaten würde – ohne Diskriminierung.

Im Wortlaut:

„We are a consortium of street skaters, cruisers, longboarders, pool shralpers, commuters, downhillers, and slasher-sliders!“

Der Ansatz gefällt uns. Es ist nämlich müßig und überflüssig, in unregelmäßigen Abständen lesen zu müssen – wenn man es denn tut und sich überhaupt darum kümmert – , was denn jetzt schon wieder das neue Trendgerät wäre und warum Frauen und Männer jenseits der 30 zu alt wären für Longboards oder Skateboards und warum Longboarding das bessere Skateboarding wäre oder umgekehrt. Eine Redakteurin der Brigitte setzte vor ein paar Jahren in ihrem Artikel die Altersgrenze für Männer, die noch skaten dürften, sogar auf 25 herab, mahnte „Steig ab, Mann!“ und fing sich dafür eine ziemliche Schelte ein. Dafür durfte der Autor Kevin Eason im Guardian im letzten Jahr davon schwärmen: „Why I love … skateboarding“, und da war der gute Mann bereits 36 Jahre alt.
Merkt ihr was? Ja, der Herbst steht vor der Tür, stimmt. Diese endlose Geschichte von Jugend, Alter, Midlife-Crisis, Peter-Pan-Vätern und vermeintlichen und tatsächlichen Trends lässt sich nur unterbrechen, wenn man ihr nicht allzu viel Bedeutung beimisst und das Ganze mit Humor nimmt. Wenn es im Telegraph des Vorjahres heißt: „Skateboarding has gone mainstream (again)“, dann ist man fast versucht – mit einem fetten Grinsen, versteht sich – zu antworten: „Black Is the New Black!“ Und wenn in den Kieler Nachrichten vor ein paar Wochen über die „Rückkehr des Skateboards“ spekuliert wird, dann auch.

„Everybody’s talkin‘ ‚bout the new sound … funny but it’s still rock and roll to me“, singt Billy Joel. Einige von euch werden ihn vielleicht noch kennen. Der gute Billy ist mittlerweile 66. Da fängt bekanntlich das Leben an. Und ob ihr ihm glaubt und seine Musik hört oder lieber auf Punkrock schwört – völlig egal.
Liebt, was ihr tut. Skatet, wie es euch geziehmt. Vor allem: Go skatin‘!
Or go home – und schaut euch endlich „Orange Is …“ an
Peace out!

Björn Hekmati in Ausgabe 15 des 40inch

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